Getrübte Jubiläen im Zeichen von Corona
Eigentlich sollten die 2020 und 2021 im Zeichen zweier bedeutender Jubiläen stehen: Im Mai hatte sich die Gründung des „Christian Medical Centers“ in Mukachevo zum 20. Mal gejährt, und im kommenden Jahr feiert die Medizinhilfe Karpato-Ukraine 25-jähriges Bestehen. Doch die Stimmung wird durch das weltweit grassierende Corona-Virus getrübt.
„Diese Pandemie ist selbst für westliche Staaten wie Deutschland innerhalb kürzester Zeit zu einer massiven Herausforderung angewachsen – und natürlich ist die Belastung für Länder wie Ukraine nicht minder schlimm. Dort kommt noch erschwerend die teils desolate medizinische Infrastruktur hinzu, die es einfach nicht leisten kann, dass Infizierten auf ähnlich hohem Niveau geholfen werden kann wie bei uns im Westen“, zeigt sich Dr. Martina Scheufler, Leiterin der Medizinhilfe Karpato-Ukraine, besorgt.
Die Situation in der Ukraine ist zweifelsohne angespannt. Offizielle Zahlen zu COVID-19 sind schwer zu finden, insgesamt dürften sich seit Pandemie-Beginn jedoch mindestens rund 765.000 Menschen infiziert haben – bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 42 Millionen Menschen sind das 1,8%. Zum Vergleich: In Deutschland wurden bisher, bei knapp doppelt so vielen Einwohnern, fast 1.083.000 Corona-Fälle gezählt, was 1,3% entspricht (Stand: 01. Dezember 20 – Quelle: Johns Hopkins Corona map).
„Zwar haben wir keine offiziellen Zahlen, die uns von Regierungsseite vorliegen, aber die Entwicklung ist natürlich besorgniserregend“, so Scheufler, die mit Bekannten vor Ort in regelmäßigem Kontakt steht: „Unsere Freunde in Mukachevo hatten teilweise selbst eine Corona- Erkrankung, denn sie setzen sich jeden Tag dem gleichen Risiko aus, sich zu infizieren, wie das medizinische und pflegerische Personal bei uns in Deutschland. Aber wir in Deutschland haben zumindest den Vorteil, dass wir über deutlich mehr Schutzausrüstung wie FFP2 -Mund-Nasen-Maske, Handschuhe oder Kittel verfügen, und zudem viel mehr und auch deutlich schneller testen können. Hierzulande gehen auch immer mehr Krankenhäuser dazu über, Patienten, bevor diese stationär aufgenommen werden, einem PCR-Schnelltest zu unterziehen – das ist so in der Ukraine leider nicht möglich. Und auch die meisten Isolier- oder Intensivstationen entsprechen nicht dem Standard, den wir hierzulande haben.“
Gemäß einer Verordnung des Ministerkabinetts vom 22. Juli gilt in der Ukraine zudem bereits seit dem 1. August eine Einteilung des Landes in vier Zonen – von grün („gesund“) bis rot („ungesund“) – für die dann wiederum unterschiedliche Schutzmaßnahmen gelten. Für Mukachevo, wie nahezu für den gesamten Oblast Transkarpathien, wurde die Alarmstufe „Orange“ ausgerufen – ähnlich der Kategorisierung hierzulande als „Risikogebiet“. „Die Lage ist vor Ort natürlich genauso dynamisch wie bei uns – allerdings ist sie deutlich schwerer zu überblicken. Schaut man sich die interaktive Landkarte des ukrainischen Gesundheitsministeriums an, so sieht man dort nur die Farben Orange und Rot – das ganze Land ist also quasi entweder Risiko- oder Hochrisikogebiet“, berichtet Dr. Martina Scheufler.
Um das ohnehin recht fragile Gesundheitssystem zu entlasten, wurden in Krankenhäusern zwischenzeitlich alle geplanten Operationen verboten, und Ärzte dürfen nur Notfall- und Corona-Patienten empfangen. Zudem plant die Regierung, die Zahl der Betten für COVID-Patienten von geplanten 52.000 auf 80.000 aufzustocken – nebst dem ambitionierten Plan, dass 80 Prozent davon – also 60.000 – mit Sauerstoffanlagen ausgestattet sein müssen. „Doch das ist natürlich nicht ansatzweise mit den High-Care-Betten auf deutschen Intensivstationen zu vergleichen. Zudem hat das Gesundheitsministerium bereits mitgeteilt, dass für den Fall, dass alle Corona-Betten belegt wären, triagiert werden müsste, sprich: man entscheiden müsste, welche Patienten vorrangig behandelt werden müssten. Unsere Freunde haben uns auch berichtet, dass die Regierung wohl bald einen Beschluss für einen neuen Lockdown fassen will, um eine mögliche dritte Welle zu verhindern. Denn anders als bei uns ist die zweite Welle in der Ukraine bereits im August losgebrochen“, so Scheufler.
Ob, wann und wie die Medizinhilfe Karpato-Ukraine wieder nach Mukachevo reisen kann, steht aktuell noch in den Sternen. Dennoch werden bereits jetzt entsprechende Pläne geschmiedet, für den Fall, dass sich die Situation im kommenden Jahr wieder ein ganzes Stück weit entspannen sollte. „Aktuell ist es einfach unvorstellbar für uns, dass wir 2021, dem Jahr unseres 25-jährigen Bestehens, nicht nach Munkacs fahren können, um dort mit all unseren Freunden und Weggefährten zu feiern. Wir hoffen daher einfach darauf, dass die Pandemie bis dahin deutlich abgeflaut sein wird und wir uns schnellstmöglich wiedersehen können“, sagt Scheufler.